KARLHEINZ STOCKHAUSEN

Stockhausen Scores

Ergänzung zur Partitur JUBILÄUM

Stockhausen Gesamtausgabe auf CD

Die unter Mitwirkung von Karlheinz Stockhausen entstandenen Aufnahmen seiner Werke werden seit 1991 in einer Gesamtausgabe auf Compact Discs veröffentlicht. Kenntlich gemacht ist jede CD-Ausgabe durch Stockhausens Signatur mit einer laufenden Nummer im Kreis. Die Nummern folgen weitgehend der historischen Reihenfolge der Werke. Stockhausen hat bei diesen Aufnahmen als Realisator der Elektronischen Musik, als Dirigent, Spieler, Klangregisseur, musikalischer Leiter mitgewirkt, die Aufnahmen abgemischt und CD-Mastering, Texte, Graphik gemacht.

  • Compact Discs können beim Stockhausen-Verlag bestellt werden: Kettenberg 15, 51515 Kürten, Deutschland (www.stockhausenCDs.com).

Karlheinz Stockhausen
Ergänzung zur Partitur JUBILÄUM

Klangregie

1. Für die Klangregie muß ein Musiker gefunden werden, der schon oft die Mikrophonverstärkung von Instrumenten in großen Konzertsälen geregelt und Erfahrung im Aufstellen von Lautsprechern und Mikrophonen hat.
(Der Stockhausen-Verlag kann auf Wunsch einige Klangregisseure empfehlen.)

2. Man muß rechtzeitig planen (wegen Kartenverkauf etc.)‚ daß in der akustischen Mitte des Saales für das Mischpult 3 -4 Stühle ausgebaut werden oder das Mischpult in einem eventuell dort Vorhandenen Gang aufgebaut wird.
Wenn das nicht erlaubt wird, muß man die Aufführung absagen!

3. Das 1. Fagott soll in den Takten 18 - 33 mit Mikrophon verstärkt werden.
Das 1. Fagott schaltet man auf Lautsprecher 1 und 2 (von links).
Man benötigt also 10 Mikrophone.

4. Die Mikrophone sollen nicht zu den Lautsprechern gerichtet sein.

Das Mikrophon für 1. Posaune soll so vor dem Posaunisten stehen, daß er nahe darüber hinwegbläst.
Das Mikrophon für 1. Horn soll von rechts hinten horizontal auf den Ausgang des Schallbechers gerichtet sein.
Das Mikrophon für 1. Fagott soll von der rechten Seite möglichst nahe vor das Instrument reichen.
Das Mikrophon für 1. Violine soll von links oben nahe über die Violine reichen.
Das Mikrophon für 1. Flöte soll von links bis über das Mundstück reichen (tiefere Töne näher am Mikrophon blasen)
Das Mikrophon für 1. Oboe soll von rechts bis nahe zur Oboe reichen, ohne daß es die Sicht auf die Noten behindert.
Das Mikrophon der Celesta soll gegen die Mitte der Rückwand gerichtet sein (ausprobieren, wo die Klangstäbe der verwendeten Oktave liegen).
Das Mikrophon für 1. Glockenspiel und Glasstäbe soll von oben beide Instrumente so erreichen, daß beide ausgewogen aufgenommen werden.
Dasselbe gilt für 2. Glockenspiel und Triangel.
Das Mikrophon für Klavier soll ziemlich nahe über den Seiten der beiden höchsten Oktaven sein.

(Der Klangregisseur muß mit darauf achten, daß die Schlagzeuger die vorgeschriebenen Schlägel verwenden, bei Pausen richtig mit Pedal dämpfen und die Tremolo-Crescendi gegen Schluß nicht zu laut spielen.)

Alle Mikrophonständer sollen Schaumgummifüße haben.

5. Das Mischpult soll — als Erweiterung der Angaben der Partitur — 10 Eingänge und 6 Ausgänge haben.
Jeder Eingangskanal soll eine Empfindlichkeitsregulierung, Höhen- und Tiefenregulierung, variable Verteilungstasten für die 6 Ausgangskanäle und einen Flachbahnregler haben.

6. Der Klangregisseur muß vor Beginn der 1. Probe alle Mikrophone, Lautsprecher und das Regelpult aufbauen lassen und akustisch prüfen. Wenn alles vorbereitet ist, benötigt er dazu ca. 3 Stunden.
6 Lautsprecher (Altec oder Electro-voice à 100 oder 150 Watt), Mikrophone und Mischpult müssen von bester Qualität sein.
Wenn die in der Partitur genannte Mindesthöhe von 4,50 m der Lautsprecher nicht möglich ist, soll man keine Kompromisse machen, da die Gefahr der Rückkopplung zu groß ist. Auf keinen Fall darf man die Lautsprecher vor dem Orchester plazieren (wie es leider geschehen ist) oder sie links und rechts zu weit vom Orchester entfernt aufstellen.

7. Nachdem eine ausgiebige Probe der Soloinstrumente mit dem Dirigenten in enger Sitzordnung stattgefunden hat, muß eine ca. 1½ stündige Probe der Soloinstrumente mit Mikrophonverstärkung auf dem Podium Stattfinden.

Instrumente

1. Der Dirigent muß ausdrücklich 2 Glockenspiele mit Pedal und das Dämpfen bei Pausen (ca. nach Takt 46 , Klammer 10) verlangen.
Man kann bei Glockenspielen mit Pedal die Dämpfung mit Schrauben verschieden einstellen, so daß beim 1. Glockenspiel eine leichte Gummidämpfung bewirkt wird als Einschränkung der Vorschrift immer klingen lassen, und beim 2. Glockenspiel nur die tieferen Töne leicht gedämpft werden.
Femer muß man die vorgeschriebenen Schlägel mit Holzkopf bis Takt 107 und metallene Glockenspielschlägel ab 107 ausprobieren und dann entscheiden, ob sich der Klang ausgewogen mit Celesta und Klavier mischt.
Die Tremolo - Crescendi Takt 120 und 136 werden gewöhnlich zu laut gemacht; sie sollen nicht die anderen Instrumente zudecken (nur bis).

2. Das Aufhängen der Triangel wird manchmal aus Bequemlichkeit nicht so gemacht‚ wie die Partitur es vorschreibt (und wie es in der Stimme beschrieben ist). Man muß es kontrollieren.
Glasstäbe und Triangel müssen im letzten Takt sofort nach dem Anschlag gedämpft werden.

Proben

Die Bedeutung der aus wiederholten Figuren resultierenden Texturen wird generell unterschätzt.
Deshalb beginnen Dirigenten oft mit Tutti-Proben und lassen diese Texturen in einem amorphen Zustand. In Wirklichkeit sind diese Texturen die Hauptsache.
Die Formel im Vordergrund ist leicht zu hören. Diese Formel ist aber mit akustischen "Fenstern" durchsetzt, und in diesen Fenstern muß man nach und nach entdecken, daß der Hintergrund eine Mikro-Textur hat, die aus der gleichen, nur viel schnelleren Gestalt gebildet ist.
(Mit "Fenstern" sind Takte 2. 4, 7, 10. 15, 16 etc. gemeint.)
Das Tempo darf also auf keinen Fall schneller genommen werden. damit die Fenster lang genug sind (Tempo = 30 sollte in geschlagen werden).
Die Texturen müssen in geteilten Proben sorgfältig ausgearbeitet werden, wobei der Dirigent zunächst alle Spieler einer Gruppe synchron dirigiert. Erst dann sollte "JEDER FÜR SICH" spielen.

Die folgenden Vorschläge für Proben gelten für ein sehr gutes Orchester:

1 Probe von minimal 2 Stunden:
(Anfang bis T. 94)
Klavier/ Celesta/ 2 Glockenspiele
(das individuelle Ritardando = 160 = 60 mit dem Sprung = = 120 = 60, verbunden mit der Vorschrift, daß jeder versuchen soll. immer öfter unter Respektierung des notierten Rhythmus einen Ton mit den anderen gleichzeitig anzuschlagen, ist wirklich schwer).
Man muß unbedingt die Zunahme an Pausen‚ an Akkorden bis zum allmählichen Stillstand dieser Schicht hören!
1 Probe von minimal 2 Stunden:
(Anfang bis T. 33)
F1. 1, 2 / Klar. 1-4 (eventuell 3, 4 weglassen, was aber erst in der Probe entschieden werden kann)/ Violinen I und II.
Die Zahl der Violinen muß in der Probe experimentell entschieden werden.
Alle Instrumente sollen gleichberechtigt klingen.
Der Übergang von legato zu staccato muß äußerst klar werden:
staccato äußerst spitz, spritzig; Streicher gehen zu Springbogen über, ohne lauter zu werden.
Die zunehmenden Pausen und ab Klammer 12 das zunehmende Synchronspiel (versuchen, mehr und mehr Töne mit den anderen gleichzeitig zu beginnen unter Respektierung des notierten Rhythmus) im individuellen Ritardando = 160 = 30
( = 60 und = 120 denken!) müssen unbedingt gehört werden.
1 Probe von minimal 1 Stunde:
(T. 107 - 139)
F1. 2 -4 / Klar. l - 4 / V1. I / V1. II .
Erarbeitung aller genannter Kriterien in umgekehrter morphologischer Entwicklung, zunächst ohne crescendo, aber ab Klammer 18 mit Abnehmen der Dämpfer, verteilt über 1 Minute.
1 Probe von minimal 3 Stunden:
(T. 46 - Schluß)
Tp. 1-3 / Hn. 2-4 / Va. / Vc.
Die Zahl der Streicher muß in der Probe experimentell entschieden werden.
Alle Instrumente sollen gleichberechtigt klingen. Wegen der verschiedenen Dämpfer bei Tp. und Hn. braucht das viel Zeit. bis die Spiellautstärken gefunden sind und von den Spielern konstant gehalten werden können.
Das individuelle Accelerando = 60 = 120 und nochmalige = 60 = ca. 160 bei genauer Einhaltung der Dauern und Pausen. dann das konsequente Einhalten des Tempos ca. 160 und die zunehmende Staccatierung der Töne ( äußerst spitz ) und ab Klammer 6 die zunehmende Verlängerung der Dauern am Schluß der Formel. ihre zunehmende Bindung und Verlangsamung auf das Tempo = 120 sind sehr schwer. und das Gesamtresultat hängt vom schlechtesten Spieler ab.

Um diese Proben sinnvoll zu machen. muß der Dirigent vorher verlangen. daß jeder Spieler die Klammern im Zusammenhang einwandfrei mit Metronom geübt hat, wenn die Proben beginnen.
Erst wenn die geteilten Proben von minimal 2 + 2 + 1 + 3 Stunden der Texturgruppen plus ca. 1 Stunde Soloinstrumente stattgefunden haben (z. Bsp. in einem separaten Raum), kann man die 1½ - stündige Probe der Soloinstrumente mit Verstärkung im Konzertsaal, dann eine 2-stündige Probe des Orchesters ohne Oboen, 1. Horn, Posaunen, Tuba (die ihre Partien in separaten Räumen während dieser Zeit proben) — also eine Probe nur der Texturen ohne die Solostimmen — machen, bevor die erste Tutti-Probe mit den elektrisch verstärkten Soloinstrumenten stattfindet.

In der ersten Tutti -Probe muß das richtige Verhältnis der Lautstärke zwischen Soloinstrumenten und dem übrigen Orchester gefunden werden.
Als Dirigent hat man zunächst den Eindruck, daß man die verstärkten Instrumente nicht klar hört.
Deshalb sollte man die langsame Formel im Vordergrund und die Soloinstrumente in größeren Abschnitten zuerst alleine, dann das Hintergrundorchester leise dazu und bei mehreren Wiederholungen das Hintergrundorchester jedesmal etwas stärker spielen lassen, bis man alle Schichten wahrnimmt.

In den erwähnten "Fenstem" kann dann der Dirigent das Hintergrundorchester, einzelne Gruppen daraus und auch einzelne Spieler mitad libitum herausholen und die Feintextur bewußt machen (deshalb stehen Angaben in der Partitur, wie "oder ", "Dirigent muß Lautstärke angeben"‚ "man muß deutlich das Auftauchen der Melodie von Takt 46 - 62 hören, von 62 - 78 ihr Dominieren und von 78 - 88 ihr Untertauchen").
Die Obertonglissandi der Hörner und Streicher in den Fenstern dürfen also nicht zu leise sein. Es gelten auch als "Fenster" die Takte, in denen die Soloinstrumente spielen (T. 47, 49, etc., 63, 65, 68, 71, 76, 77, 79, 81, 84, 87, 92, 93, 108, etc.).
Der Klangregisseur kann auf dieses Hervorholen des Hintergrundorchesters mit dem Regeln der Soloinstrumente reagieren, daß er das eine oder andere Soloinstrument in diesen Takten entsprechend anhebt.

Es ist möglich, eine Balance zu erreichen, die alle überlagerten Schichten und ihre Entwicklungstendenzen bewußt macht - obwohl diese sehr fragil ist und manchmal nur von 1 dB oder 2 dB Niveauunterschied abhängt.
Man muß dem Orchester klar machen, daß nicht nur Proben für das Orchester zum Lernen des Stückes stattfinden, sondern auch zum Experimentieren für die Balance.
Ohne klare Realisation der zeitlichen und räumlichen Vielschichtigkeit wird eine Interpretation sinnlos. Man sollte also nicht von der "einfachen Form einer Passacaglia mit dem Genudele dahinter" reden, sondern sich bewußt machen, daß das einfache Objekt der Formel in verschiedensten Geschwindigkeiten, Veränderungsprozessen, Schichten erscheint, daß diese Prozese wesentlicher als die Darstellung der Formel sind und daß die Hintergrundschichten als wichtiger behandelt werden müssen, weil sie schwächer und schneller sind.

Hat ein Dirigent keine Zeit oder Möglichkeit für solch sorgfältige Probenarbeit, so sollte er keine Aufführung machen. Er muß jede unkonventionelle Kleinigkeit beachten und zum Beispiel auch vorher mitteilen, daß der 1. Posaunist und auch der 1. Oboist spielenderweise aufs Podium kommen und deshalb mehrere Takte auswendig lernen müssen.

Die hier mitgeteilten Einzelheiten und Empfehlungen sind keine pedantischen Übertreibungen des nie zufriedenen Komponisten. Sie wurden geschrieben am Tage nach der Rückkehr von 3 Aufführungen, die Zubin Mehta mit den Berliner Philharmonikern und mit mir als Klangregisseur am 13., 14., 15., März 1982 (mit 2 + ¾ + ½ Stunden Proben für JUBILÄUM am 12. und 13. März) dirigierte.

Kürten, 16. März 1982
K. Stockhausen

JUBILÄUM – Errata in der Partitur

Seite 27: Tp. 1–3 und Hn. 2–4: der Tempowechsel von = 160 zu =120 sollte eine Triole früher anfangen.
Takt 18, Fagott: Notationsfehler: in der letzten Triole ist einen Balken zuviel notiert.
Takt 78, Horn I: Notationsfehler: es fehlt einen Balken bei den letzten vier Noten des Taktes.
KINNTANZ INORI–AUFBAU-UND PROBENPLAN