KARLHEINZ STOCKHAUSEN

Instrumentation Orchesterwerke

Instrumentation Orchesterwerke

Stockhausen Gesamtausgabe auf CD

Die unter Mitwirkung von Karlheinz Stockhausen entstandenen Aufnahmen seiner Werke werden seit 1991 in einer Gesamtausgabe auf Compact Discs veröffentlicht. Kenntlich gemacht ist jede CD-Ausgabe durch Stockhausens Signatur mit einer laufenden Nummer im Kreis. Die Nummern folgen weitgehend der historischen Reihenfolge der Werke. Stockhausen hat bei diesen Aufnahmen als Realisator der Elektronischen Musik, als Dirigent, Spieler, Klangregisseur, musikalischer Leiter mitgewirkt, die Aufnahmen abgemischt und CD-Mastering, Texte, Graphik gemacht.

  • Compact Discs können beim Stockhausen-Verlag bestellt werden: Kettenberg 15, 51515 Kürten, Deutschland (www.stockhausenCDs.com).

Karlheinz Stockhausen
Instrumentation Orchesterwerke
PUNKTE

PUNKTE (1952 / 62)
für Orchester

(Aus dem Vorwort der Partitur.1)

PUNKTE für Orchester, eine Partitur punktueller Musik von 1952, habe ich 1962 neugeschrieben. In der Neuschrift sind Punkte nur selten einfache Tonpunkte: sie werden zu Zentren von Gruppen, Pulks, Schwärmen, vibrierenden Massen; zu Kernen mikromusikalischer Organismen.
    Zur Differenzierung der ursprünglichen Punkte habe ich vier Gestalttypen verwendet: ein Punkt wird nach oben oder nach unten zunehmend breiter; oder ein Tongemisch wird von oben oder von unten zunehmend schmäler, bis es in einen Punkt mündet. Verbreiterungen und Verengungen haben charakteristische Texturen (kontinuierliche Töne, Tremolo, Triller; staccato, portato, legato; Glissandi, chromatische Melodien usw.) und charakteristische Farben, Intensitäten, Geschwindigkeiten.
    Intervallbreiten und Tempi, in denen sich solche Bewegungen vollziehen, bleiben für mehr oder weniger lange Perioden konstant und fassen dadurch größere Strukturen zusammen.
    Beim Komponieren schoben sich zuweilen so viele Klangflächen übereinander, daß mehr Klangvolumen entstand, als leerer Klangraum übrig blieb. (Warum verstehen wir Musik immer nur als Tongebilde im leeren Raum, als schwarze Noten auf weißem Papier? Kann man nicht genausogut von einem homogen gefüllten Klangraum ausgehen und die Musik aussparen, die musikalischen Figuren, Formen herausradieren?)
    Ähnlich den erwähnten Positiv-Formen komponierte ich also auch Negativ-Formen: Löcher, Pausen, Schächte mit verschiedenen Gestalten, deren Ränder mehr oder weniger scharf markiert sind.
    Im weiteren Verlauf der Komposition wechselte ich vom einen zum anderen: einmal formte ich das aus Klangwänden Ausgelassene, ein andermal das in den leeren Raum projizierte Klingende. Im Grenzbereich sind Positiv- Negativ-Formen in der Schwebe. Bei Grenzübergängen werden die Formen vieldeutig.

    Nach der Uraufführung (1963) überarbeitete ich die Partitur noch zweimal. An einigen Stellen habe ich die Musik angehalten, einen Akkord oder eine Gestalt mehrmals wiederholt: Momentaufnahmen. Hier und da habe ich mehrere Kernpunkte mit derselben Farbe – mit demselben Instrument – zu melodischen Zeichen verbunden, die aus dem Klanggrund auftauchen und andeuten, wie man aus dieser Musik zahllose figürliche Gebilde durch die freie Verknüpfung einzelner Punkte heraushören kann.

Ich sehe ein Orchester, in dem jeder Musiker jeden – scheinbar so unbedeutenden – einzelnen Ton mit Sorgfalt und Liebe spielt und mit dem Bewußtsein, daß für ein lebendiges Ganzes jedes noch so kleine Teilchen wichtig und gut ist.

Ich sehe einen Dirigenten, der die atomistischen Strukturen so sehr mit Bewußtsein durchdrungen hat, daß er die höheren Gestaltbildungen zu einem großen Organismus zusammenwachsen läßt, in dem sich die einzelnen Elemente nicht mehr gegenseitig zerstören, sondern einander erhöhen. Einen Dirigenten, der die geheime Identität der musikalischen Schwingungen mit den Schwingungen alles mikro- und makrokosmischen Lebens kennt.

Ich sehe ein Auditorium mit Menschen, die genügend empfindsam geworden sind, sich des Zusammenhangs zwischen der Existenz jedes Punktes in der Musik und ihrer eigenen Existenz ganz bewußt zu sein: der Teilchen ihrer Person und ihrer Person im Kosmos. Die bis in die letzten Atome ihrer unbewußten Schichten die Schwingungen der Musik eindringen lassen und so die Musik dazu benutzen, sich selbst tiefer kennenzulernen, sich selbst und ihre Bedeutung im Ganzen. Menschen, die durch diese Musik selbst zu Musik werden.

Die PUNKTE sind Francesco Agnello gewidmet, in dessen Haus in Siculiana (Sizilien) ich die Neuschrift 1962 begonnen habe

Die Partitur der PUNKTE ist bei der Universal Edition Wien erschienen.

Am 15. Mai 1975 dirigierte ich die PUNKTE mit dem Sinfonie-Orchester des Norddeutschen Rundfunks in einem öffentlichen Konzert in Hamburg. Zu diesem Anlaß entstand eine Aufnahme, die 1991 auf Compact Disc 2 in der Stockhausen-Gesamtausgabe beim Stockhausen-Verlag, 51515 Kürten, veröffentlicht wurde.

Die Universal Edition Wien ließ die Partitur bei einer ungarischen Firma in Budapest stempeln. Die Korrekturen der Andrucke zogen sich über etwa 14 Jahre hin, und ich änderte im Verlaufe dieses Prozesses manche Details.
    Vom 1. bis 6. Februar 1993 dirigierte ich die korrigierte Fassung der PUNKTE mit dem Sinfonie-Orchester des Hessischen Rundfunks Frankfurt in Proben, zwei Aufführungen im gleichen Konzert am Abend des 5. Februars, und in Aufnahmen am 5. und 6. Februar.


1  Der Beginn dieses Vorwortes greift zurück auf die 1964 geschriebene Einführung,
die bereits in TEXTE Band 3, S. 12–13, veröffentlicht wurde.

Besetzung

3 Flöten (alle 3 auch kleine Flöte, 3. Flöte auch Altflöte)
3 Oboen (1. auch Oboe d’amore, 3. auch Englisch Horn)
1 kleine Klarinette (-Klarinette)
1 Klarinette (B-Klarinette)
1 Baßklarinette
3 Fagotte (3. auch Kontrafagott)
3 Hörner (1. hoch, 2. mittel, 3. tief), jedes auch mit Dämpfer, + = gestopft.
3 Trompeten
1 Tenorposaune
4 Becken
1 Baßposaune (oder Tenorposaune mit Quartventil)
1 Baßtuba (auch mit Dämpfer)
2 Klaviere (2. auch Celesta)
2 Harfen
3 Schlagzeuger: 1. Röhrenglocken, Kastenglockenspiel, 2 Pedalpauken (hoch, tief)
2. Vibraphon (mit Motor)
3. Marimbaphon

= harte Schlägel,
= weiche Schlägel:
verschiedene harte und verschiedene weiche Schlägel nach Angabe des Dirigenten verwenden.
8 Violinen I


individuelle Stimmen
8 Violinen II
8 Bratschen
6 Celli
4 Kontrabässe

Für c. l. = col legno (mit Holz und Haaren gezogen), zweiten Bogen vorbereiten. Jede Spielvorschrift pizz., arco, s. p. (sul ponticello), c. l. (col legno), norm. (normal) löst die vorige ab.

Alle Töne klingen wie notiert. Ein Vorzeichen (, ) gilt immer nur für die eine Note, vor der es steht; dienen manchmal zur Lesehilfe.

Die Tempi müssen genau eingehalten werden:

Metronom

50,5 53,5 57 60 63,5 67 71 75,5 80 85 90 95 101 107 113,5 120usw.

accel. = bis zum doppelten Tempo,
molto accel. = bis zum vierfachen Tempo,
rit. = bis zum halben Tempo,
molto rit. = noch mehr verlangsamen.

Programmierung – Proben

Am 5. Februar 1993 dirigierte ich die PUNKTE mit dem Sinfonie-Orchester des Hessischen Rundfunks in Frankfurt zweimal nacheinander. Zwischen den beiden Aufführungen hielt ich eine Einführung in die Aufführungspraxis des Werkes, wobei das Orchester sitzen blieb. Es folgte eine Pause, in der das Podium abgeräumt und mit dem Aufbau der Synthesizer, spanischen Wände und einer besonderen Beleuchtung die anschließende Aufführung vorbereitet wurde:

ENTFÜHRUNG für Piccolo-Flöte (Kathinka Pasveer)
WOCHENKREIS für Bassetthorn und elektr. Tasteninstrumente
(Suzanne Stephens und Simon Stockhausen)
Klang- und Lichtregie: K. Stockhausen.

Man sollte wegen der umfangreichen Proben, besonderen Sitzordnung usw. außer PUNKTE kein anderes Orchesterwerk im gleichen Programm aufführen.

Folgende Proben sind mit einem guten Orchester das Minimum, vorausgesetzt, daß in den ersten beiden Tagen ein zweiter Dirigent in einem anderen Saal mit einstudiert. In Frankfurt übernahm Lukas Vis, der PUNKTE schon vorher dirigiert hatte, diese Aufgabe.

  Stockhausen Vis
1. Tag 9.30–14.00 Violinen
-------------------------------
16.30–21.00 Bläser
Bratschen, Celli, Kontrabässe
-------------------------------
2 Klaviere, Harfen, Schlagzeug
2. Tag idem idem
3. Tag 9.30–14.00 Streicher
16.30–21.00 alle anderen




Wenn kein zweiter Dirigent
mit einstudiert, sind bis zur
Aufführung 7 Tage notwendig.

Spieldauer:
ca. 27 Minuten
4. Tag 9.30–14.00 Tutti
(nachmittags Proben der
Kammermusik-Werke)
5. Tag 10.00–13.00 Tutti
(mit Aufnahme)

20.00 Konzert
2 Aufführungen mit Aufnahme

Kammermusik
6. Tag 10.00–13.00 Nachaufnahme  

Orchester-Sitzplan

Orchester-Sitzplan

 

K. Stockhausen

PUNKTE für Orchester – Supplement

Die Aufführungen von PUNKTE haben ergeben, daß folgende Instrumente mit Mikrophonen verstärkt werden müssen:

1  Jede der beiden Harfen mit 2 Mikrophonen, eines unten und eines oben neben
den Saiten;

2  jeder der beiden Flügel (ohne Deckel!) mit 2 Mikrophonen, eines über,
der obersten Oktave ein zweites daneben schräg zu den unteren Saiten gerichtet, gezielt auf C1

3  die 4 Kontrabässe mit je einem Mikrophon.

4  Dirigent und Klangregisseur sollten mit 2 Sendern zum Orchester
und miteinander sprechen können.
Sie benötigen dazu 2 Monitor-Lautsprecher auf der Bühne und einen beim Mischpult.

In der Mitte des Saales regelt ein Klangregisseur an einem kleinen
Mischpult (14 2) die Balance zwischen diesen Instrumenten und dem Orchester, sowie die Sender.

2 x 2 Lautsprecher werden für die Verstärkung links und rechts am Rande des Orchesters etwa 4 m hoch gehängt:

Die Verstärkung der genannten Instrumente ist auch während der Proben notwendig.

SAMSTAGS-GRUSS ORCHESTER-FINALISTEN